Mandragora ist der Name des Drachen und gleichzeitig der wichtigste
Schlüsselbegriff aus dem Sprachgebrauch der Magie bzw. Alchimie. Dem Namen
eines Drachen wird ja nach der allgemeinen Drachenlehre eine große Macht
zugeschrieben, es ist deshalb ganz passend, daß dieser Name eine besondere
Bedeutung hat, die über das Buch an sich hinausgeht und viele weiterführende
Verbindungen aufzeigt.
Die Radix mandragorae, die
Mandragora-Wurzel, ist am häufigsten bekannt als die Alraune oder der Alraun.
Im Althochdeutschen als alruna bezeichnet, weist das Wort auf das gotische runa
hin, d.h. Geheimnis. Allein die linguistischen Verzweigungen zu Mandragora sind faszinierend. Aufgrund
ihrer scheinbar menschenähnlichen Form wird die Wurzel auch als Anthropomorphon,
lat. Semihominis oder Hominiformis bezeichnet. Im Buch hat der Drache
metamorphe, d.h. gestaltwandelnde Eigenschaften, bzw. er kann menschliche Form
annehmen. (Eigentlich nimmt der Mensch Drachengestalt an, aber das ist eine
Frage des Standpunktes.) Der botanische Name ist Atropa Mandragora, Mandragora
officinarum oder vernalis. Erstmals erwähnt wird die Pflanze im Alten Testament
(Genesis und Hohes Lied).
Schon in der Antike war sie
eine wichtige Zauberdroge, was nichts anderes heißt als daß sie zu
medizinischen und wahrscheinlich auch rituell-religiösen Zwecken eingesetzt
wurde. Dioskurides nennt in seinem Kräuterbuch eine verwirrende Vielfalt
weiterer Namen der Alraune: Antimelon, Dircaea, Circaea, Xeranthe, Antimnion,
Bombochylon, Minon, Apemum, Gonogeonas, Diamonon, Mala canina... Im Buch habe
ich einige dieser Begriffe verwendet, um die Vielzahl der Namen des Drachen
anzudeuten, welche die Vielschichtigkeit der „Persönlichkeit“ dieser Entität
darstellen soll.
Die Alraune ist also keine
mythische Pflanze, sondern nur selten und schwer zu finden. Ihre Wirkung auf
den menschlichen Organismus beruht offenbar auf dem hohen Gehalt an Hyoscyamin
und Scopolamin in den kugelförmigen Früchten. Interessanterweise läßt sie sich
auch als Rauschdroge verwenden, doch wird davor überall gewarnt. Einige
Stimmen, die ich dazu im Internet fand, widerspiegeln regelrecht ein panisches
Entsetzen vor der Wirkung dieser Droge. Man mag die medizinische, bzw.
therapeutische Wirksamkeit genau wie beim Ginseng anzweifeln, auf das
Bewußtsein scheint sie zumindest nachweisbar und verheerend zu wirken.
Sowohl die Bibel als auch
Quellen wie Theophrast erwähnen die Alraune auch als Aphrodisiakum, was in
meinem Roman allerdings keine Rolle spielte.
Besonders interessant sind
die Zeremonien und Vorschriften, welche beim Ausgraben der Wurzel zu beachten
sind. Wie z.B. Josephus Flarius schreibt, ist das mit Lebensgefahr verbunden.
Man bedenke: Das Ausgraben einer Wurzel hat den augenblicklichen Tod zur Folge!
Wie kam man auf solche Ideen? Eine verbreitete Methode der Ausgrabung war, sie
von einem Hund aus der Erde ziehen zu lassen, der dabei natürlich draufging
(und wenn nicht, wahrscheinlich geopfert wurde). Diese extreme Todesgefahr wird
mit einem Schrei in Verbindung gebracht, den die Alraune bei der Ausgrabung
ausstößt. Wer den Roman gelesen hat, wird dieses Detail wiederfinden.
Im Mittelalter war die
Alraune auch eine Art Talisman für Glück und Reichtum. Doch der Besitzer mußte
die Wurzel vor seinem Tode wieder loswerden, sonst wartete die Hölle auf ihn.
War der Besitz einer Alraune also gleichbedeutend mit einem Pakt mit Dämonen
oder Satan? Auch Hildegard von Bingen schrieb der Wurzel teuflische Einflüsse
zu.
Und um noch einmal auf Namen
und Bezeichnungen zurückzukommen: Auch die Heinzelmännchen sind nichts anderes
als Alraunen. Es zeigt sich, daß die geheimnisvolle Wurzel in der magischen und
alchimistischen Lehre eine recht bedeutsame Rolle spielte, die ihre Spuren an
vielen Stellen der menschlichen Kultur hinterlassen hat. In Shakespeares „Romeo
und Julia“ wird sie ebenso erwähnt wie im verfilmten Roman von H. H. Ewers
„Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens“. Sogar in der Serie „Dr. Who“
taucht eine Person namens Mandrake auf...
Ein zweiter alchimistischer
Begriff, den ich allerdings nicht so zentral verwendet habe, ist das Alkahest. Die Alchimisten nannten so
meist das aus dem „Stein der Weisen“ hervorgehende Elixier, das - nach einer
Interpretation - alle festen Stoffe auflösen kann. Bei mir ist es - recht
weitläufig verwendet - der Zustand der völligen Auflösung in der , bzw. der
Verschmelzung mit der „Feuerzone“. Das Alkahest
wurde übrigens oft als das eigentliche Ziel der alchimistischen Bemühungen
bezeichnet, während die oft beschriebene Transmutation von Metallen nur eine
Art Nebenprodukt sein sollte. Wie ein totales Lösungsmittel aber als Heilmittel
oder gar als Unsterblichkeitsdroge verwendet werden soll, bleibt unklar. In
„Mandragora“ wird der Hauptheld Marian allerdings auf gewisse Weise
unsterblich, nachdem er das Alkahest mit der Feuerzone erreicht hat.
Anzumerken ist an dieser
Stelle, daß ich viele dieser Einzelheiten erst nach dem Schreiben der dafür relevanten Passagen herausfand und
selbst oft verblüfft war, wie meine eigenen Phantasien mit diesen alten
mythologischen und alchimistischen Gedanken übereinstimmten, bzw. sich in einer
parallelen Richtung interpretieren ließen.
Die Leser des Buches werden
sich erinnern, daß Mandragora eine hyperdimensionale Entität ist, ein Wesen,
das noch aus einem früheren, anders aufgebauten Universum stammt und sogar an
der Schaffung des gegenwärtigen Universums beteiligt war.
In diesem Sinne kann man ihn
und die anderen „Drachen“ durchaus als die alchimistische Materia Prima ansehen, diejenige Substanz der Materie an sich, aus
der der Stein der Weisen / das Alkahest entstehen sollte. Gerade in der Be-
oder vielmehr Umschreibung der Materia
Prima zeigt sich die Unfähigkeit (oder der Unwillen?) der Alchimisten, in
Worte zu fassen, was sie eigentlich meinten und erreichen wollten. So können
nur Eingeweihte die Materia Prima
überhaupt als solche erkennen, der Stein sei kein Stein, aber man nenne ihn so,
weil alle vier Elemente in ihm enthalten seien, usw.
Alle Elemente, alle Materie
- Materie an sich? Etwa die Urmaterie, die quantenphysikalische Ursuppe nach
dem Urknall? Aus ihr wurde alles, was
ist, und so liegt es auf der Hand, daß man aus ihr - wenn man sie denn bekommen
kann - alles machen kann, vom
Homunkulus bis zum Gold.
Übrigens: Solche
Lösungsmittel und Elixiere wie Alkahest oder Menstruum wurden von der Alchimie
auch als „Drachen“ bezeichnet. Was wir als Salpetersäure kennen, war z.B. der
Grüne Drache. Maria Szepes schrieb einen Fantasy-Roman namens „Der Rote Löwe“
über die Unsterblichkeitsdroge der Alchimisten. Der Rote Löwe ist ein
bestimmtes Stadium bei der Herstellung des Steins der Weisen, welches auch
unter dem Namen Roter Drache bekannt ist.
Der Vollständigkeit halber will ich erwähnen, daß ich nicht nur in alchimistisch / magischen Texten für „Mandragora“ recherchierte. Auch die Bibel und der Koran mußten dafür herhalten, ganz zu schweigen von Büchern über Kosmologie und Teilchenphysik.